Kino immer anders


Selten wurde ein Film so sehnlichst erwartet, wie der neue Streifen von Jordan Peele. Gleich zwei unserer Filmsteller Silvana und Lucca haben sich in den Horrorfilm gewagt und den Film ganz unterschiedlich erfahren. Silvanas Kritik lest ihr gleich im Anschluss, Luccas dann gleich weiter unten. Viel Spass!


GET OUT – Eine Horrorsatire

von Silvana Rohner  ★★★★★

Das Erstlingswerk von Jordan Peele, bekannt aus der Sketch Serie Key & Keele des US-Kanals Comedy Central, ist ein gelungener Horrorfilm, der sich mit der Frage auseinandersetzt, was es bedeutet in der heutigen Zeit ein junger Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten zu sein. Mit filmischen Mitteln aus dem Horror, Thriller und Comedy Genre, wird der Film aus der Sicht des jungen schwarzen Photographen Chris Washington (Daniel Kaluuya) erzählt.

Chris ist mit der weissen und hübschen Rose Armitage (Allison Williams) zusammen, die sich weder um Konventionen noch um Hautfarbe zu scheren scheint und dies immer wieder auch Chris beweist. Trotz Chris‘ Bedenken, überzeugt Rose ihn ihre durchwegs weisse Familie in den Suburbs zu besuchen. Als auch noch genau an diesem Wochenende ein Familien- und Verwandtenfest gefeiert wird, kommt es zum Eklat. Die eindeutig liberal-demokratischen Eltern und Verwandten scheinen auf den ersten Blick äusserst von ihm angetan und bemühen sich überaus nett zu sein. Vielleicht zu nett.

Aus Chris‘ Perspektive wirken die Bemühungen des Vaters (Bradley Whitford), mit ihm im Afro-Amerikanischen Jargon zu sprechen lächerlich, die schwarzen Angestellten Georgina (Betty Gabriel) und Walter (Marcus Henderson) irgendwie zu Marionettenhaft und Schreckgespenster der Sklaverei; der einzig andere schwarze Besucher redet und benimmt sich zu „white“, die Bemerkungen und das Verhalten der Verwandten sind ungemütlich und unterschwellig rassistisch. Umzingelt von Weissen wirkt Chris komplett fehl am Platz. Das Etwas mit dieser Gesellschaft nicht ganz stimmt ist schnell klar und dies teilt Chris mit seinem Freund Rod (Lil Rel Howery), der warnt Chris immer wieder via Telefon, zunächst im Witz dann im Ernst, sich vor den Weissen in Acht zu nehmen und möglichst schnell abzuhauen. Als die Mutter von Rose, Missy (Catherine Keener), Chris auch noch hypnotisiert, wird Chris‘ Bauchgefühl bestätigt und ein Abstieg in die psychologische und emotionale Vergangenheit von Chris beginnt.

Peele versteht es in gekonnter und neu konstruierter Hitchcock-Manier das Alltägliche und Banale zu verzerren und aus einem unheimlichen Gefühl schliesslich blanken Horror zu erzeugen.


Schwarzweisser Horror zum lachen

Von Lucca Kohn  ★★☆☆☆

Fast unglaubliche 99% auf Rotten Tomatoes, eine stolze 8.1 auf IMDb, fast ausschliesslich Lobreden der verschiedensten Filmkritiker im Internet und ein digitales Bashing des Kritikers, der die anfängliche 100% Wertung auf Rotten Tomatoes ruiniert hat: all das habe ich nach der Visionierung des Films erfahren, denn ich wollte wissen, was die Welt, also das Internet vom Spielfilmdebut von Jordan Peele hält. Ich komme nicht darum herum vorwegzuschicken, dass das Ergebnis meiner kurzen Recherche mich überrascht hat. Doch alles zu seiner Zeit.

Der Film eröffnet in einer nächtlichen Strasse, irgendwo in den Suburbs von Amerika. Ein junger Afroamerikaner telefoniert und sucht eine Adresse. Als er sein Telefonat beendet hat, taucht ein Auto aus dem Dunkeln auf, es verlangsamt sich verdächtigerweise, wendet und hält ziemlich nah an dem jungen Mann.

Daraufhin wendet er auf dem Bürgersteig, wird aber von einer Gestalt die hinter einem Baum hervorspringt in den Schwitzkasten genommen, betäubt und in das Auto geschleppt, das danach wieder in der Dunkelheit verschwindet, ohne das jemand von diesem Angriff etwas mitbekommen hätte.

Eine unheimliche, beängstigende Szene, gefilmt in einer Plansequenz. Die Referenz auf die Misshandlung und Ermordung junger schwarzer Menschen in Amerika ist unübersehbar und umso erschreckender im scheinbar unbescholtenen Umfeld der amerikanischen Vorstadt.

Es wäre eine sehr starke Eröffnungssequenz, wenn Peele nicht den Fehler machen würde und seine Zuschauer für blöd hielte. Nur so lässt sich erklären, dass der junge Mann seine Handlungen und Beobachtungen in einem Monolog von sich gibt. Die Sinngemässe Wiedergabe lautet:„Ein Auto? Merkwürdig. Was will der von mir. Oh nein er hält an. Ich kehre besser um und gehe den Weg zurück auf dem ich hergekommen bin.

Nein, nein das passiert mir heute nicht…“. Nicht nur dass ein solcher Monolog höchst unnatürlich erscheint, sondern selbst wenn man gutmütig die „Suspension of disbelieve“ anwendet, – das annehmen der innerfilmischen Welt und deren Regeln, die nicht unserer erlebten Welt entsprechen müssen – zerstört diese Handlungsbeschreibung den mysteriösen Charakter der Sequenz beinahe vollständig. Diese beinahe aggressive Offensichtlichkeit zieht sich durch den gesamten Film. Dessen Inhalt ist schnell erzählt.

Der dunkelhäutige Hauptprotagonist Chris (Daniel Kaluuya) fährt mit seiner weissen Freundin Rose Armitage (Allison Williams) für ein Wochenende zu ihren Eltern aufs Land, die zum ersten Mal den neuen Freund kennenlernen sollen. Gleich zu Beginn wird klar gemacht, dass sie nicht wissen, dass er schwarz ist, aber Rose beschwichtigt seine Sorgen.

Der Empfang ist dann auch sehr herzlich, ein wenig zu herzlich, als das er normal wäre. Zudem wecken nicht nur die zwei dunkelhäutigen Angestellten der Familie Armitage Chris’ und des Zuschauers Misstrauen, sondern auch der Fakt, dass die Mutter von Rose eine hypnotisierende Psyochologin ist. Das Unbehagen wächst, als einerseits der Bruder von Rose (ein Teil Paul und Peter aus Funny Games und ein Teil Theon Greyjoy aus Game of Thrones) auf Besuch kommt und andererseits das Verhalten der Angestellten gegenüber Chris immer merkwürdiger wird. Auch die Mutter von Rose möchte auffällig gerne Chris anhand einer Hypnose vom Rauchen „befreien“.

Zufälligerweise findet am folgenden Tag ein alljährliches Verwandten- und Bekanntentreffen statt, das weisser und rassistischer nicht sein könnte, ausser es wäre ein Klanstreffen. So wird Chris wollüstig angefasst, für seine Statur komplimentiert und nach den Vor- und Nachteilen des „African-American experience“ gefragt. Als dem Zuschauer überdeutlich klargemacht wurde wie (positiv) rassistisch diese Gemeinschaft ist, entfernt sich Chris mit Rose und sie entscheiden sich früher als geplant nach Hause zu fahren.

Doch währenddessen schmiedet die Familie Armitage Pläne, um Chris noch viel besser kennenzulerenen. Es sei hier nicht mehr verraten als dass diese Pläne Chris nicht gefallen werden, aber eben, dass etwas faul ist, wurde bereits ausgiebig etabliert.

Zu sehr muss man als Zuschauer aber nicht um seinen Protagonisten bangen, denn er hat Kontakt zu seinem Freund und Arbeitskollege Rod. In dieser Figur sehe ich den zweiten grossen Makel des vielversprechenden Filmes. Denn Rod bildet den Comic Relief. Dadurch wird der Film unerwarteter Weise zur Horror-Komödie. Er erfüllt dabei ziemlich jedes Klischee des schwarzen Sidekicks im Film.

Er ist etwas dumm, loyal, flucht bei jeder Gelegenheit und findet es eine schlechte Idee zu einer weissen Familie aufs Landhaus zu fahren, denn seiner Meinung nach wollen Weisse Schwarze sowieso nur als Sex-Sklaven halten. Das mag man lustig finden, aber dem Film tut diese Figur nichts Gutes. Die Entlarvung von Rassismus in einer weissen, gebildeten und liberalen Gesellschaftsschicht ist ein spannendes Thema und dies in einem Horrorfilm zu tun, umso interessanter. Auch dieses Thema humoristisch umzusetzen wäre spannend. Die Ansätze dazu finden sich auch in Get Out.

Leider traut sich Jordan Peele nicht dies subtil zu tun, er vertraut nicht auf den Horror (oder wollte nicht einen so dunklen Film machen) und setzt die humoristischen Akzente zu grob und unbedacht, so dass Vorurteile bestätigt werden und am Ende des Films sogar ein Plädoyer für die Unvereinbarkeit von Schwarz und Weiss entdeckt werden kann.


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