Kino immer anders


Aus der Vogelperspektive sieht man wie sich eine Frau durch den Schnee kämpft, schreit, sich darin wälzt bis dieser sich blutrot verfärbt. Darauf folgt der Abspann. Das Ende wird zum Anfang. Gaspar Noé ist zurück.

Nach den Filmen Irreversible (2002), Enter the Void (2009) und Love (2015) kommt mit Climax ein Streifen auf die Grossleinwand, mit dem der argentinische (Skandal)Regisseur seinem Ruf für intensive, bildgewaltige und experimentelle Werke gerecht wird. Wie in den oben genannten Filmen sind Drogen, Sex und die körperliche Entfesselung auch dieses Mal tragende Elemente.

Doch erst einmal mehr zum Inhalt. Die Party einer ambitionierten, frisch zusammengemischten Tanzgruppe verwandelt sich zu einem Horrortrip.

Zuerst sind in einem Röhrenbildschirm allerdings Interviews mit den Tänzern zu sehen. Neben dem Fernsehen stapeln sich Horrorfilme. Ein vielversprechendes Intro.

Den eigentlichen Ort des Geschehens, einen Proberaum, wird mit einer imposanten Tanzszene betreten. Die Szene ist lang, fesselnd und der einzige Grund das Werk einen Tanzfilm zu nennen. Nach dem Ende einer Probe werden Becher mit selbstgemachtem Sangria herumgereicht und die Party kommt langsam ins rollen. Die Protagonisten und ihre Beziehungen untereinander, rücken ins Zentrum des Geschehens und durch oberflächliche Partygespräche kristallisieren sich Spannungsverhältnisse zwischen verschiedenen Figuren heraus, über die sonst keine weiteren Informationen offen liegen. Mit dem Fortschreiten der Feier verändert sich die Stimmung, bis diese kippt und zu einem Trip wird, von dem es unangenehm ist Zeugin zu werden.

Visuell intensiv wirkt die Verwendung von Neonlichter im starken Kontrast zu dunklen Räumen. Auch die Kameraführung nah an den Figuren generiert Spannung, denn als Zuschauer ist man somit nicht nur nahe an den Figuren, sondern hat auch keine Chance die Lage ganzheitlich zu erfassen. Auffällig sind auch die extrem langen Einstellungen, die den Film drastisch entschleunigen und die Zuschauenden zwingen den einzelnen Szenen, die von wenig Handlung und viel Wiederholung geprägt sind, viel Aufmerksamkeit zu schenken. Besonders experimentell wirken die Einschübe zwischen Beginn und Eskalation des Fests und dem Ende des Films. Sie unterbrechen den Lauf der Dinge und ermöglichen eine kurze Reflektion des Geschehens. Die spannungsgeladenen und ästhetischen Szenen werden hinterlegt von einem passenden Soundtrack (von Soft Cell bis Dopplereffekt).

Alles in allem ist dies ein Film an dem sich die Geister scheiden werden – was für Gaspar Noé’s Werke wahrlich nichts Neues ist – denn einerseits ist Climax kinematografisch vielfältig, ungewöhnlich und faszinierend, andererseits mangelt es an inhaltlicher Tiefe, sowie emotionaler Intensität. Damit bleit ein Höhepunkt in weiter Ferne und der Kinogang gleicht eher der Teilnahme einer unangenehmen Party als einem Höllentrip.

 Leandra Sommaruga


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