Kino immer anders


Eine verschneite Winterlandschaft untermalt von episch anmutender Musik eröffnet sich dem Zuschauer; weitläufig und schön. Plötzlich eine Detailaufnahme eines von Schmerzen gepeinigten Gesichts, langsam versinkend in dem es vergrabenden Schnee. Während die Kamera allmählich zurückfährt gibt sie den Blick frei auf eine herannahende Kutsche, in welcher der als Hangman bekannte Kopfgeldjäger John Ruth zusammen mit der Mörderin Daisy Domergue sitzt, um diese Kutschenfahrt zu ihrer letzten zu machen. Doch ein aufkommender Schneesturm verweht Ruths ursprünglichen Pläne rasch. Bekannte und unbekannte Gesichter tauchen aus dem weissen Schneemeer auf und gemeinsam fährt man in die nächstgelegene Herberge: Minnie’s Haberdashery. Das Ausmass der Naturgewalten zwingt die Reisegemeinschaft zu einem längeren Aufenthalt in dem Haus, das bei ihrer Ankunft schon zwielichtige, schrullige und gesprächige Gestalten beherbergt. John Ruth ist sich absolut sicher: Jemand will ihm einen Strich durch die Rechnung machen und er ist zu allem bereit, um das zu verhindern.

Wie viele von Tarantinos Vorgängerfilmen ist auch The Hateful Eight vollgepackt mit ausschweifenden Dialogen, die mit ihrem oftmals beissenden Witz niemals langweilig sind. Man merkt, dass hier ein echter Geschichtenerzähler am Werk ist, der es versteht, ohne Hast und Schritt für Schritt immer neue Figuren in eine Geschichte eintreten zu lassen und sie mit dem Schicksal anderer zu verweben. Dies geht soweit, dass Tarantino selbst als Voice-Over-Erzähler in die Geschichte eingreift, der die Handlung nochmals Revue passieren lässt und den Fokus auf ein kleines, aber wichtiges Detail verschiebt, dass dem Zuschauer sonst entgangen wäre. Das so vermittelte Wissen um den Inhalt einer Kaffeekanne erzeugt schlagartig eine unheimliche Suspense, die in ihrer Dynamik stark an Hitchcock erinnert. Eine sonst bedeutungslose Handlung wie das Einschenken einer Tasse Kaffee wird plötzlich so nervenaufreibend wie ein Tischgespräch bei Strudel und Crème mit einem SS-Offizier.

Auch die Einschränkung eines wesentlichen Teils des Films auf einen einzigen Raum stellt für Tarantino, wie schon in Reservoir Dogs, kein Problem dar. Analog zum immer wiederkehrenden Schachbrett scheinen auch die Figuren in Minnie’s Haberdashery einer klaren Raumpolitik zu unterliegen. Die im retrospektiven Kontext des Sezessionskrieges proklamierte Grenzziehung zwischen einem Nord- und Südstaaten-Lager verwischt sich im Zuge folgenschwerer Grenzüberschreitungen von Figuren, die den ihnen zugeteilten Bereich verlassen. Der motivische Vergleich hinkt allerdings in gewisser Hinsicht. Denn während die Aufteilung von Freund und Feind im Schach eindeutig durch die betreffenden Farben Schwarz und Weiss geregelt ist, lässt sich dieses Prinzip keineswegs auf die zeitweiligen Bewohner in Minnie’s Haberdashery anwenden. Gerade die Frage um das Rätsel, wer mit wem zusammenarbeitet, sich verbündet oder verfeindet, gilt es zu beantworten. Diese von ausufernden Gewaltakten begleitete Auflösung der Figurenkonstellationen ab der zweiten Hälfte des Films gestaltet sich zuweilen etwas langatmig. Dennoch überzeugt The Hateful Eight durch ein vielseitiges Figurenensemble, köstliche Dialoge, einen experimentierfreudigen Umgang mit Zeitlupe und Schärfenverlagerung und ein unerwartetes Ende, bei dem zum letzten Mal geklärt wird, wer mit wem an einem Strang zieht.

Lucien Duc


Weitere Filmkritiken