Kino immer anders


Solch” eine Welt möchte David Lynch schaffen, eine dunkle, geheimnisvolle, gruselige Welt, in der seltsame Gestalten und die Bedrückung der Vergangenheit Platz finden. Allerdings kann es ihm nur in Bildern – in bewegten Bildern – gelingen, seiner Vorstellung ganz Ausdruck zu verleihen.

Verwirklichen kann Lynch den Traum vom bewegten Bild schliesslich am Center for Advanced Filmstudies in LA, und der Weg zum Filmemacher nimmt seinen Anfang. Gleichzeitig endet an diesem Punkt die Filmbiografie „David Lynch: The Art Life“ welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die frühe Jugend und erste Schaffensphase des berühmten Regisseurs zu dokumentieren. In einem kunstvollen Zusammenschnitt Dutzender Interviews, welche die drei Regisseure über vier Jahre hinweg mit David Lynch führten, erzählt Lynch von seinen Anfängen.

Begonnen mit der idyllischen Kindheit in einer perfekten Familie, über unruhige Jugendjahre, erfährt man vom Ursprung seiner Leidenschaft für Kunst. Ausschliesslich in Lynchs Atelier gedreht, zeichnet der Film dabei vor allem ein Portrait des Malers David Lynch – und offenbart, wie wichtig die bildende Kunst für Lynchs Filmschaffen war und immer noch ist. Die kontemplativen, überaus schönen Atelierszenen wechseln sich allerdings immer wieder mit Fotografien und Filmausschnitten aus dem Familienarchiv ab. Man gewinnt so nicht nur einen Einblick in Lynchs inneres Künstlerleben, sondern erfährt auch viel über das Leben einer typisch amerikanischen, christlichen Vorstadtfamilie und über den Alltag eines mittellosen Kunststudenten in den Sechzigern.

Der Film zeigt David Lynch wie er sich an seine Kindheit und Jugend erinnert und mit der Vergangenheit seine Kunst erklärt. Mit eindrücklichem Bildmaterial ist so eine Art Selbstportrait dieses Künstlers entstanden – denn obwohl nicht Lynch Regie führt, scheint er selbst jeden Moment des Films zu kontrollieren. Nichts gibt Lynch aus Versehen Preis, alle Erzählungen sind wohlüberlegt, alles scheint schon einmal in demselben Wortlaut gesagt worden zu sein.

Man wundert sich, ob die Regisseure Jon Nguyen, Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm ihm überhaupt eine einzige überraschende Frage gestellt haben. Tatsächlich findet sich ein grosser Teil dessen, was Lynch über sich selbst erzählt, auch im deutschsprachigen Wikipedia Artikel über David Lynch! (Der mehrmals das Buch „Lynch on Lynch“ von Chris Rodley (2005) zitiert.) Waren die Regisseure tatsächlich so unkritisch gegenüber Lynchs Selbstanalyse? Ist die Sichtweise Lynchs auf sich selber in diesem Fall tatsächlich die Interessanteste? Wieso übernehmen sie Lynchs eigene Interpretation seiner Kunst – die ja schon bekannt zu sein scheint? Oder hat etwa der Film die Lynch’sche Zensurbehörde nur schlecht überstanden? Der Regisseur so vieler mysteriöser Filme bleibt jedenfalls auch nach diesen ästhetischen 88 Minuten noch ein wohlgehütetes Geheimnis.

Cécile Hauser


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