Kino immer anders


Was bedeutet Krieg? Fernando León de Aranoa geht dieser für ein europäisches Publikum mittlerweile abstrakt gewordenen Frage nach. Ein Thema, das wir nur noch aus Nachrichten und Filmen kennen. Geradezu logisch scheint daher die Wahl Bosniens als Schauplatz der Handlung von A Perfect Day, dazu die Perspektive einer Hilfsorganisation auf den Krieg. Ein offensichtlich undankbarer Job und einer, in dem man nur eines nicht verlieren sollte – seinen Humor.

Die Deutungshoheit über die Frage was Krieg ausmacht, scheint längst zugunsten der Kriegstreiber, Waffenexporteure und extremistischen Kleingeister entschieden zu sein. Dies zeigt sich an der Zahlenflut in den Nachrichten, wie viele Menschen getötet oder geflohen sind oder wie viele Waffen exportiert werden. Ebenso wird Krieg in Filmen meist von den stets gleichen Akteuren und Bildern dominiert: Die Aufmerksamkeit gehört – selbst in den guten (Anti-)Kriegsfilmen – den Soldaten und der Gewalt, selten denen, die den Frieden erhalten wollen oder am Ende aufräumen. A Perfect Day rüttelt an diesem Bild.

Das oft beschworene «Brunnen für den Frieden»-Thema steht hier im Zentrum der Handlung – als Motiv und inhaltlich. Die zwei Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und ihre neue Kollegin (wunderbar naiv-enthusiastisch gespielt von Mélanie Thierry) müssen irgendwie eine Leiche aus einem Brunnen heben. Doch nirgends findet sich ein Seil, das für dieses Vorhaben nötig wäre. Ein eigentlich profaner Gegenstand, ohne den aber das ganze Unterfangen zu scheitern droht. An diesem Seil, mit dem die Leiche geborgen werden soll, hängt nicht weniger als die Wasserversorgung einer ganzen Region und der fragile Frieden zwischen den Einwohnern, die sich womöglich die Köpfe im Streit um sauberes Trinkwasser einschlagen. Natürlich mangelt es nicht an Seilen, doch sind diese zum Aufknüpfen von Feinden vorgesehen, nicht etwa um Brunnen von Toten zu befreien. Diese Allegorie auf die Prioritäten im Krieg begleitet die beiden Protagonisten – köstlich dargestellt von Tim Robbins und Benicio Del Toro – durch den ganzen Film.

Absurd, wie De Aranoa die Suche nach einem Seil inszeniert. Sisyphos würde nicht mit ihnen tauschen wollen. In seiner Form erinnert der Film an ein abenteuerliches Roadmovie. Die Berg- und Talfahrt der beiden Protagonisten durch die Hügel des Balkans gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt – auch für den Zuschauer, dem das Lachen nicht selten im Hals stecken bleibt. Robert Altmans Klassiker MASH von 1970 musste sich seinerzeit noch den Vorwurf gefallen lassen, mehr Kriegsklamotte als Antikriegsfilm zu sein. Auch wenn sich die Nähe zum filmischen Vorbild lustvoll präsentiert, ist A Perfect Day doch ein eigenständiges Werk. Der Humor des Films ist zwar ebenso schwarz, doch zeigt er sich nicht in taumelnder Albernheit MASHs, dessen groteske Übertreibung den damaligen – von den USA geführten – Krieg in Vietnam entlarven wollte. Angesichts neuer Konfliktherde, deren Kampfhandlungen die westliche Welt nicht direkt betreffen, wird das Augenmerk hier auf freiwillige Helfer gelegt, deren unermüdlicher Einsatz den Frieden zu bewahren, Opfern zu helfen und das Chaos in irgendeiner Form aufzuräumen eine schier unmögliche Aufgabe darstellt. Del Toros Figur beschreibt seinen Job deshalb auch als «Kriegsklempner»: Er räumt die sprichwörtliche und buchstäbliche Scheisse weg und das unter Einsatz seines eigenen Lebens und obendrein schlecht bezahlt.

Fernando León de Aranoa schafft es mit A Perfect Day einen kurzweiligen Film über die Abgründe der Menschheit zu drehen. Ein schwieriges Vorhaben, das mit wunderbar bissigen Dialogen und einer originellen Herangehensweise an ein schwieriges Thema überzeugt. Ein mit schwarzem Humor gespickter Antikriegsfilm, der dennoch nichts vom Elend des Krieges vorenthält. Die Gewalt wird aber vielfach nur impliziert, angedeutet oder im unscharfen Teil des Bildes belassen. Die Kriegsverbrechen und die Toten nicht zu zeigen, ist kluges Kino, es reizt das Hirn des Zuschauers, nicht dessen Augen.

Alexander Streb


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