In den Kinos gibt es jetzt eine Neuversion der Nibelungensage, mal ganz anders. Ein ambitionierter Mittelalter/Fantasy-Film, der den Mut hat, sich mit einer alten Sage zu befassen und diese einem heutigen Publikum schmackhaft zu machen. Angeblich der teuerste Deutsche Film, der bis jetzt gedreht wurde. Lohnt es sich?
Kurzgefasst: Eigentlich ist der Versuch, die Nibelungensage modern aufzubereiten, interessanter als das Resultat. Der Stoff wirft nämlich allerhand Schwierigkeiten auf, die nicht zuletzt aus den dunkelsten Stunden der Deutschen Geschichte kommen. Fast so schlimm ist, dass die Sage ja ungefähr 1500 Jahre alt ist, aus einer Zeit mit völlig anderen Werten und Vorstellungen, was denn eine gute Geschichte ausmacht. Wie soll das heute relevant sein, oder noch irgendjemanden interessieren, außer die größten Geschichte-nerds? (Ja, ich bekenne mich schuldig). Um ein modernes Publikum mit seinen Ansprüchenüberhaupt gerecht zu werden, muss der Mythos komplett umgekrempelt werden.
Um das Problem zu veranschaulichen hier eine Zusammenfassung der Sage. Siegfried von Xanten wächst zum Ideal eines Adligen heran, tötet einen Drachen und badet in seinem Blut. Auch erschlägt er Riesen und erbeutet so einen Schatz und eine verzauberte Kappe, die den Träger unsichtbar macht. Daraufhin zieht er nach Worms, um für die Hand der Burgunderprinzessin Kriemhild zu werben. Doch seit einem prophetischen Traum verweigert sich Kriemhild der Liebe: Sie wird ihrem Gemahl den Tod bringen. Der Burgunderkönig Gunther schlagt Siegfried einen Pakt vor. Hilft Siegfried Gunther, die Isländische Königin Brünhild zu freien, darf er Krimhild heiraten. Der Haken: Solange Brünhild Jungfrau ist, hat sie übernatürliche Kräfte, kein Normalsterblicher kann Sie bezwingen. Mithilfe der Tarnkappe soll also Siegfried Gunther zum Sieg verhelfen. Um seine Absicht zu verbergen gibt Siegfried sich als Vasall von Gunther aus, die Mission gelingt und es kommt zur Doppelhochzeit. Aber Brünhild ist gedemütigt, dass ein Vasall gleichrangig wie sie heiratet. Auch die Heiratsnacht verursacht Probleme: Siegfried muss Brünhild entjungfern, denn siehängt Gunther einfach an einem Wandnagel auf. Jahre später kommen Siegfried und Kriemhild in Worms zu Besuch und der Betrug fliegt endlich auf. Brünhild versucht, Kriemhild zu demütigen, und wutentbrannt enthüllt sie daraufhin die Wahrheit. Im darauffolgenden Tohuwabohu ratet Hagen von Tronje seinen Herren Gunther, Siegfried schnellstmöglich los zu werden und so wieder Kontrolle über die Situation zu bekommen. Hagen tötet Siegfried hinterrücks an der einen Stelle, wo er nach dem Bad im Drachenblut noch verwundbar ist. Jahre später heiratet Kriemhild den Hunnen-König Etzel und provoziert einen Kampf, worin alle Burgundischen Adligen umkommen.
Für den Zeitgeschmack schwer verdaulich sind unter anderem die Geschlechterrollen, die Gewichtung der Jungfraulichkeit (der Frau), und das Gerangel um Mittelalterlichen Status. Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Die Sage wurde mit der Zeit immer mehr durch Deutsche nationalistische und völkische Bewegungen instrumentalisiert. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Ermordung Siegfrieds zur Inspiration für eines der perfidesten Lügen der Deutschen Geschichte: Das Deutsche Heer sei, genau als der Sieg schon fast erreicht war, hinterrücks von linken Politikern und Juden verraten und erdolcht worden. Wie Siegfried durch Hagen. In Wahrheit war das Deutsche Reich am Ende: Ausgeblutet und nach jahrelanger Blockade durch die Englische Kriegsflotte halb verhungert konnten die Deutschen Heere zwar noch den Grabenkrieg durchbrechen, waren danach aber zahlenmäßig unterlegen und standen kurz vor der Niederlage. Die Heeresführung wie die Politiker wussten, dass Kapitulation die einzige verfügbare Option war. Für die Bevölkerung, die bis zur letzten Stunde nur Siegespropaganda zu sehen bekamen, war es trotzdem ein Schock, und so war die „Dolchstoßlegende“ allzu verführerisch. Die Nazis griffen die Idee auf und machten daraus ein Kernstück ihrer Ideologie: Das nächste Mal würden die Juden nicht in der Lage sein, Deutschland zu verraten. Nazi-Propaganda griff die Figur des heldenhaften Siegfrieds immer wieder auf, das Desaster in Stalingrad wurde mit dem Tod der Burgunder verklärt.
Unter dem Druck dieser Geschichtslast standen die Regisseure unter Zugzwang. Siegfried kann kein Held sein, und keinesfalls darf er feige im Rücken erschlagen werden. Stattdessen ist Siegfried im Film ein eher unsympathischer Narzisst, und dazu eine Nebenfigur.Protagonist ist stattdessen Hagen von Tronje. Wie die Ermordung gelöst wird, verrate ich nicht.
Auch der Zeitgeist stellt seine Anforderungen. Im Allgemeinen sind die Männer eher schwach, die Frauen aber stark. Physisch wie emotional. Kriemhild gehört somit zu den stärkeren Figuren im Film, mit angedeuteter Tiefe und Selbstbewusstsein. Anstatt dass sich Kriemhild zurückhält, um andere zu schützen, ist sie im Film tatkräftig und nimmt sich, was sie will. Hagen aber ist ein Mann, der sich seine Gefühle nicht eingestehen kann, und so blickt er in jeder Szene mit den gleichen traurigen Augen vor sich her. Interessantes Detail: Überwältigt Siegfried in der Sage Brünhild mit eigener Kraft, ist in diesem Film die gemeinsame Kraft dreier Männer notwendig, damit es überhaupt zur Hochzeit kommt! Auch darf Brünhild ihre Kräfte behalten – ihre Vergewaltigung wird dem Publikum zum Glückerspart.
Das Resultat ist letztendlich ein Kompromiss, und das fühlt man auch. Dennoch, dass der Film überhaupt Spaß macht ist eine große Leistung. Das Production-value ist top-notch, die Schauspieler wissen genau, was sie zu tun haben. Handwerklich ist der Film einwandfrei.Trotzdem steht der Film im Schatten des großen Fantasy/Mittelalter-Epos, Der Herr der Ringe. Was auch auffällt: Nicht alles wird erklärt. Ach je, muss es schon wieder eine Trilogie werden?
Muss man sich diesen Film anschauen? Nein. Aber man kann sich schon einen Abend lang amüsieren, und gewiss wird er manche Leute dazu animieren, mal die Originalfassung zu lesen. Oder den zweiteiligen Stummfilm von Fritz Lang aus 1922 anzuschauen, der ist auch toll.
Michael Schmutzer