Während des Vorspanns zeichnet sich ein, auf den ersten Blick, idyllisches Gemälde ab. Goldbraune Baumkronen umrahmen eine grüne Wiese auf der Schäfchen weiden. Dahinter windet sich ein Fluss, dessen Ende sich am Horizont des gleichfarbigen Himmels verschmilzt. Man kann die Blätter fast rascheln und die Vögel zwitschern hören. Und doch, irgendetwas stimmt nicht ganz. Irgendwas ist eigenartig.
Die Farben sind zu kühl, die Stimmung zu erdrückend, es ist alles einfach zu…düster. Schon rückt man etwas näher, um sich das Bild genauer anzusehen. Plötzlich fährt eine Kutsche ins Bild, die Schäfchen schrecken auf; rennen leicht verwirrt und laut blökend in die entgegengesetzte Richtung.
Ein leises Kichern ist nicht zu vermeiden. Diese Herde erinnert doch stark an die kleine Menschenmasse, die sich ein paar Bilder und kopflose Leichen später panisch in die Dorfkirche flüchtet. Entsetzt schreit eine blasse junge Frau auf, um gleich darauf in Ohnmacht zu fallen – ganz dem Melodram getreu, versteht sich – als sie zusehen muss, wie ihr Vater gepfählt und aus der Kirche verschleppt wird, nur damit sein abgehackter, blutender Kopf im Beutelsack des Kopflosen Reiters endet. Und schon spritzt es aus dem einst idyllischen Bild von überall Blut heraus.
Es ist der eigenwilligen und einzigartigen Vorstellungskraft von Tim Burton zu verdanken, einem solchen Horrorszenario die Eleganz und Ästhetik eines mit Pinselstichen gefertigten Kunstwerks zu verleihen und sie gleichzeitig mit einem Augenzwinkern humorvoll und ironisierend aufzubrechen; bevor sich das Ganze in einer dieser alltäglichen Blutbadszenen verliert.
Hier steht man also: In dieser wunderbar absurden, blutigen und bezaubernd inszenierten Märchenwelt – in Burtons Märchenwelt.
Genauer gesagt, steht man in Sleepy Hollow im Jahr 1799. Dieses verschlafene Dorf ist von einem Fluch befallen, der in Form eines kopflosen Reiters daher galoppiert kommt, wahllos Leute enthauptet und deren Köpfe als Souvenirs einsammelt. Hilfe bekommen die noch lebenden Bewohner von Inspektor Ichabod Crane, der in New York mit seinen progressiven Ideen zur Verbesserung ‚barbarischer‘ Ermittlungsmethoden bei seinen Polizeikollegen anstösst und somit vom genervten Richter in die Provinz versetzt wird. Der skeptische Ichabod glaubt aber nicht an Märchen und macht sich zunächst auf die Suche nach einer logischen Erklärung. Doch Angesichts der sich rasch anhäufenden Leichen und mit einem immer schwächeren Magen, muss sich der junge Detektiv bald eingestehen, dass sich hier derart dunkle und abstruse Dinge abspielen, die seine Wissenschaft nicht erklären kann…
Burtons Filmadaption von Washington Irvings gleichnamiger Erzählung geht – à la Burton eben – mit der Dramaturgie, dem Setting und den Figuren einige Schritte weiter, aber nie zu weit. Seine düstere Märchenwelt hält sich immer in Balance zwischen Horror und Humor, zwischen Pathos und Ironie – und wir Zuschauer sind immer schön mittendrin. Von Anfang an führt uns der Regisseur in seine magische (Horror-)Welt hinein. So auch dank der wunderbaren Kameraarbeit Emmanuel Lubezkis (The Revenant), der uns mit seiner fliessenden Kameraführung schon zu Beginn neben den von Depp liebevoll exzentrisch gespielten Inspektor in die Kutsche setzt. Als Cranes Assistenten lässt uns Lubezki so nah an die Ermittlungen heran, dass auch uns während einer von Cranes durchgeführten Obduktionen Blut ins Auge spritzt.
Gleichzeitig präsentiert uns der mexikanische Kameramann Burtons Märchenwelt auf eine Weise, die mit Licht- und Schattenspielen verzaubert und uns mit unzähligen rollenden Köpfen und Blutlachen in den Bann zieht. Dass der Film aber trotzdem nicht im Kitsch versinkt, liegt neben Burtons Liebe zu einzigartigen und merkwürdigen Figuren, auch am Drehbuch von Andrew Kevin Walker (Se7en). Die ästhetische Atmosphäre wird immer wieder mit bösen Zeilen hier, und makaberen Handlungssträngen da, unterbrochen und leisen Liebeserklärungen stehen verwirrende Figurenkonstellationen, Verrat, dunkle Hexenkunst und blutende Bäume gegenüber. Abgerundet wird das ganze durch Danny Elfmans (Edward Scissorhands) mal dramatischen, mal verzaubernden, mal unheimlichen Score, der den letzten feinen Pinselstrich am Burton-Kunstwerk anbringt.
Also…
Wer sich in der Adventszeit irgendwo zwischen George Michaels „Last Christmas“, zu greller Weihnachtsbeleuchtung und noch greller glänzendem Weihnachtskitsch wiederfindet, und sich doch nur etwas festlichen Horror wünscht, der soll sich in Burtons Kabinett das Sleepy Hollow Gemälde genau ansehen und Köpfe zählen. Und keine Sorge wegen des vielen Bluts: einfach mit der Hand aus dem Gesicht wischen und weiterschauen.
Alicia Schümperli