Kino immer anders


Es ist wieder soweit. Weihnachten klopft mit einer grossen, schweren Faust immer lauter an der Tür und gleich dahinter drängen sich die Kitschmonster auf, samt Menschenmasse im Schlepptau. Es ist unvermeidbar. Sie sind in der Überzahl. Sie sind überall.

Es ist an der Zeit für einen Fluchtplan, wenn auch nur einen kleinen. Einen Fluchtplan in eine andere Welt. Eine Welt mit weniger Kitsch, dafür mehr schwarz-weiss Monstern, weniger Menschenmassen, dafür mehr einzigartigen Figuren und eine Welt mit einem grünen Garten… einem Garten für einen kleinen Hund. Einen toten, zusammengeflickten Hund, genauer gesagt, der aber trotzdem noch fröhlich mit dem Schwanz wedelt, d.h. wenn der nicht gerade an den Nähten reisst.

Diese Welt ist eine Vorstadt namens New Holland und trägt gerade den 50er Jahre Look. Der Hund gehorcht auf den Namen Sparky und die treibende Kraft hinter dem Ganzen unterschreibt mit dem Nachnamen Burton.

Inspiriert von Mary Shelleys Frankenstein oder der moderne Prometheus (1818), wie auch von James Whales Verfilmung aus dem Jahre 1931, erzählt Tim Burtons Frankenweenie (2012) die Geschichte von dem jungen Aussenseiter Victor Frankenstein, der in seiner Freizeit am liebsten Monsterfilme dreht, in denen sein Bull Terrier, und bester Freund, in den Hauptrollen brilliert. Nachdem Sparky jedoch wegen eines Unfalls verunglückt, versucht ein trauender Victor seinen toten Freund zurück ins Leben zu holen. Und tatsächlich: nach einer stürmischen Nacht steht Sparky wieder vor ihm, lebendig und hechelnd auf seinen vier Pfoten. Problematisch wird die Sache mit der Reanimation erst, als einige von Victors Klassenkameraden davon erfahren, denn sie benötigen ja noch dringend eine gewinnende Idee für den anstehenden Wissenschaftswettbewerb…

Ursprünglich als live-action Kurzfilm gedreht, entstand dieses Projekt bereits 1984, als der junge Burton noch für die Animationsstudios von Disney skizzierte. Von der Produktionsfirma aber als zu düster erachtet, verschwand das Material gleich wieder im Regal und so verliess ein kreativ eingeengter Burton bald darauf die Studios.

Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis der Regisseur wieder in Zusammenarbeit mit Disney seine Geschichte in schwarz-weiss und mit Stop-Motion-Technik doch noch ins Kino bringen konnte.

Und das Warten hat sich gelohnt.

Gleich zu Beginn sitzt man bei den Frankensteins auf dem Sofa und muss leise lachen, wenn Ms. Frankenstein die alte Tischdecke im (3D!) Monsterfilm ihres Sohnes wiedererkennt. In diesem Moment wird sofort klar: hinter Burtons Werk steckt ganz viel Liebe. Liebe zu den Vierbeinern, Liebe zu den Aussenseiterfiguren und Liebe zum alten Kino.

Die fast vergessenen Horror- und Monsterfilme erleben durch Hommagen und Zitierungen ein Revival auf der Leinwand. Ein Schattenspiel mit Sparky holt Nosferatu kurz ins Leben zurück, der Tierfriedhof erinnert an Stephen Kings Pet Sematary und selbstverständlich wird auch den Monstern aus Godzilla und The Creature from the Black Lagoon anerkennend zugenickt – nur um hier einige zu nennen.

Doch auch Victors Klasse ist eigentlich ein reanimiertes Wiedersehen mit Burtons geliebten und skurrilen Charakteren. Winona Ryders Lydia Deetz aus Beetlejuice sitzt im Unterricht gleich zwischen Weird Girl (ja, so heisst sie und sie ist herrlich ‚weird‘, genauso wie ihr Kater Mr. Whiskers), die aus Burtons Kurzgeschichte Staring Girl stammen könnte, und dem buckeligen Edgar, der sich im Verlauf des Films zu Igor, dem archetypischen Gehilfen verrückter Wissenschaftler, entwickelt. Während wir diesem verschrobenen Ensemble beim Experimentieren amüsiert zuschauen und Sparky durch eine Edward Scissorhands ähnliche Nachbarschaft hinterher rennen, werden wir in dieser schwarz-weissen Welt immer mehr von einem heimischen Gefühl umhüllt, nicht zuletzt dank Danny Elfmans unheimlichen, jedoch vertrauten Klangkompositionen.

Nun, mag sein, dass Frankenweenie nicht ganz so nahtlos perfekt ist– ähnlich wie Sparky.

Muss er auch nicht. Er darf sich kleiner anfühlen, als seine älteren Leinwandgeschwister, denn das macht ihn intimer. Hier gibt der Regisseur seiner Story und seinen Figuren einfach mal Raum zum Sein – und zwar genau so skurril wie sie sind. Uns gibt er somit denselben Raum um zuzuschauen und teilzunehmen – so skurril wie wir nun einmal sind. Und gerade das macht den Film so besonders: er vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit im Aussenseiter-Club. Sowie Victor nämlich seinen Eltern sein Projekt im Wohnzimmer vorführt und einen kleinen Einblick in seine Imagination erlaubt, so sitzen wir neben Burton im Studio, gut versteckt von Kitschmonstern und Menschenmassen, wo er seine Ideen und Lieblingsfilme mit uns teilt. Er hält uns sein Notizbuch voller Skizzen entgegen und zeigt dabei wie er diese Welt wieder ins Leben ruft. Für sich selbst, für uns, mit der üblichen Portion Grusel und Humor und voller funkensprühender Energie – ähnlich wie Sparky eben.

Alicia Schümperli


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