Kino immer anders


Ein junger Mann bricht nach seinem ETH-Studium auf in die neue Welt. 1904 legt Othmar Ammann im Hafen New Yorks an. Dort beginnt die berufliche Laufbahn des ambitionierten Ingenieurs, der viele Jahre später, als einer der einflussreichsten Brückenbauer der Moderne, in die Geschichte eingehen wird.

Die Dokumentation «Gateways to New York» verfolgt die Entstehung verschiedener Monumentalbauten, wie beispielsweise der George Washington Bridge – die über den Hudson River führt und Manhattan mit New Jersey verbindet, der Golden Gate Bridge oder der Verrazzano-Narrows Bridge. Allesamt Hängebrücken, welche die Dimension aller bisherigen Werke – bezüglich ihrer Spannweite – übertreffen. In der Planung dieser Projekte ganz oben dabei war Othmar Ammann.

Es wäre ein Unrecht dem Film vorzuhalten, lediglich die Erfolgsgeschichte des Schweizer Pioniers aufzuzeigen. Im Zentrum steht der Brückenbau in Nordamerika zwischen der Jahrhundertwende bis in die sechziger Jahre. Neben dem Blick auf das schlanke Design der Brücken jener Zeit, werden auch die Probleme gezeigt, die in der Ingenieurswissenschaft auftraten. Beispielsweise das Einwirken von Wind auf die Stabilität der Konstruktion. So fand die Aerodynamik erst durch den Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke in der Nähe von Seattle 1940 Berücksichtigung. In der Dokumentation wird auch ein früheres Unglück in der Brückenbaugeschichte beleuchtet, der Einsturz der Québec-Brücke 1916. Leidtragend war insbesondere eine Gemeinde des Mohawk Stammes. Viele Männer des Stammes arbeiteten als Stahlarbeiter an der Brücke und sechsundneunzig liessen dort ihr Leben.

In Interviews erzählen Zeitzeugen des Mohawk Stammes von ihren Erlebnissen, als sie im Raum New York an den grossen Brückenprojekten mitgearbeitet haben. Wie sie in schwindelerregender Höhe auf den schmalen Stahlbalken balancierten und sich die glühend heissen Verbundstücke zuwarfen, um die Stahlelemente zusammenzuschweissen. Mit Vergnügen und Stolz blicken sie auf ihr nachhaltiges aber gefährliches Schaffen zurück.

Auch die kontextuelle Einbettung der gesellschaftlichen Entwicklungen New Yorks fliesst in die Dokumentation mit ein. Der Optimismus in der Baubranche zur Jahrhundertwende und die Verschiebung von Bahnverkehr auf die Strassen, was zu erhöhter Nachfrage von Brücken – statt Fähren – führte, werden thematisiert. Musikalisch sind die Archivaufnahmen der Strassen New Yorks gekonnt mit Jazzmusik unterlegt, was das die Zeit der Roaring Twenties in Erinnerung ruft. Auch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre machten sich im Bauwesen bemerkbar. So liegt dem Aussehen der nackten Stahlbrücken nicht etwa der Geschmack der Designer, sondern die nötigen Sparmassnahmen, zugrunde.

Regisseur Martin Witz hat mit einer Vielfalt von Dokumentationsmaterial – Filmaufnahmen aus Archiven, Bauplänen, Notizen Ammanns und Briefen an seine Geliebte in die Schweiz, sowie Interviews mit verschiedenen Zeitzeugen – einen Film geschaffen, der nicht nur die Leistungen von Othmar Ammann würdigt, sondern ein umfangreiches Bild der Entwicklung von Infrastruktur und Mobilität der amerikanischen Gesellschaft entwirft. Dass der Schweizer Ingenieur Ammann in diesem Film eine solch tragende Rolle einnimmt, mag man kritisch betrachten. Insbesondere, da seine Person im Beruflichen wie im Privaten als Vorzeigefigur sondergleichen dargestellt wird. (Vielleicht war er es ja tatsächlich.) Auf jeden Fall ist «Gateways to New York» ein interessanter und informativer Dokumentarfilm, der auch ohne Studium in Ingenieurswissenschaften absolut sehenswert ist.

Leandra Sommaruga


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