Kino immer anders


McQueen ist ein packender Dokumentarfilm über den eigenwilligen «Punk-Rebellen» der Modeindustrie, Alexander McQueen. Als schöpferische Persönlichkeit eroberte er mit Mut, Entschlossenheit und Tatendrang die Welt der Pariser «Haute Couture» und beeinflusste die Kunstszene der Neunziger in Grossbritannien wie kein anderer.

Die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui zeigen McQueens Aufstieg, Erfolg und Fall in chronologischer Reihenfolge, wobei Authentizität, Emotionalität und künstlerischer Ausdruck gekonnt die Balance halten. Die Dokumentation ist in Kapitel («tapes») unterteilt, die jeweils mit dem Totenkopfmotiv, dem Symbol von McQueens Label, angekündigt werden. Der Totenkopf wird dabei fortlaufend mittels Computeranimation umgeformt, was McQueens äussere, vor allem aber innere Wandlung untermalen soll.

McQueen ist eine Mischung aus McQueens Home-Videos und Archivmaterial der Modeshows sowie Interviews mit seinen engsten Mitarbeiter/Innen und Familienmitglieder. Diese ermöglichen intime Einblicke in die Seele des Modeschöpfers und verdeutlichen die Isolation, die mit Erfolg einhergehen kann. Sogleich wird klar, dass gerade diese dunklen Momente der Einsamkeit, McQueens schöpferisches Potenzial antrieben und er mit den Modeschauen ein Ventil für seine Gefühle fand. So inszenierte der Designer seine Laufstegshows als pures Spektakel; wild, verstörend, bunt und manchmal auch obszön, vereinigen sie Mode, Kunst, Film sowie Theater. Dabei spielt es nicht wirklich eine Rolle, ob die vorgeführten Kleider tragbar sind oder nicht. Vielmehr sind sie, zusammen mit den Modellen und dem Dekor, Teil einer Geschichte, die erzählt werden will. Das Thema der Gewalt, ein Trauma aus McQueens Kindheit, ist dabei in verschiedenen Formen wiederkehrend präsent, was dem bunten Treiben auf der Bühne immer eine düstere Note verleiht. McQueens Freude an der Provokation ist jedenfalls deutlich zu sehen und auf Grossleinwand entfaltet sie ihre volle Wirkung.

Nebst den «fashion shows», thematisieren Bonhôte und Ettedgui durchgehend die Freundschaft zwischen dem Modedesigner und Isabella Blow, seiner Mentorin. Die einflussreiche Modejournalistin und Mäzenatin nahm McQueen unter ihre Fittiche und führte ihn in seinen Anfängen zu den bekannten Modeleuten in England. Umso tragischer ist es, dass ihre innige Freundschaft an seinem rasch einsetzenden Erfolg zerbrach.

Trotz heiteren Momenten, die einen herumblödelnden, lachenden, Sprüche klopfenden McQueen zeigen, beherrscht die Dokumentation eine schwermütige Atmosphäre, die das bittere Ende erahnen lässt; McQueens Erfolg, in Kombination mit seinen inneren, nicht überwindbaren Dämonen, forderten ihren Tribut und hinterliessen einen immer mehr isolierten Menschen, der sich mit nur vierzig Jahren das Leben nahm.

McQueen ist ein intensiver und berührender Dokumentarfilm, der den Versuch unternimmt, einen extrem komplexen Charakter zu ergründen und Antworten auf offene Fragen zu finden. Gleichzeitig ist er eine Hommage an einen unvergesslichen Künstler, dessen Kreativität keine Grenzen kannte.

Catherine Szeitner


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