Jean führt ein unaufgeregtes Leben zwischen seiner Arbeit auf dem Bau und seiner Familie zu Hause und scheint damit durchaus zufrieden. Als er jedoch die Lehrerin seines Sohnes, Mademoiselle Chambon, kennenlernt, bringt dies seine integre Welt völlig durcheinander. Während die adrette Véronique Chambon für die Schulkinder die idealtypische Lehrerin verkörpert, die wahrlich einem Bilderbuch zu entspringen scheint, weckt die zarte, mädchenhafte und geheimnisvolle Mademoiselle in Jean ein bisher nicht gekanntes Begehren. Auch der Glanz in Véroniques Augen – bereits beim ersten Treffen erkennbar – und ihre unbeholfenen Worte verraten, dass auch sie von Jean mehr als angetan ist. Die beiden nähern sich nur langsam und zögerlich. Zunächst repariert Jean bloss ihr undichtes Fenster. Bei dieser Gelegenheit bittet er Véronique, ihm etwas auf der Violine vorzuspielen. Nach dem zarten Spiel, in dessen Klang man soviel Sehnsucht zu glauben hört, ist es um Jean geschehen. Es folgen weitere Treffen in ihrer Wohnung. Jean ist hin und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, und als ihm seine Frau nichts ahnend die Nachricht einer erneuten Schwangerschaft verkündet, steht er vor einem Dilemma.
Stéphan Brizé, der bereits mit seinem Film Je ne suis pas là pour être aimé gezeigt hat, dass auch in den alltäglichen Geschichten ein grosses Potenzial liegt, hat mit Mademoiselle Chambon erneut einen unaufgeregten Film geschaffen, der durch seine subtile Charakterzeichnung, ein geschicktes Drehbuch und kluge Dialoge überzeugt. Es ist eine alltägliche Geschichte, die hier erzählt wird, und gerade darin, dass die Geschichte aus dem Leben gegriffen ist und man sich mit den Figuren identifizieren kann, liegt die Stärke dieses Films. Die unaufgeregte Inszenierung ermöglicht es dem Zuschauer, genau zu beobachten und Anteil zu nehmen. Die langen Einstellungen, die unauffällige Montage und die Stille lassen einen die Poesie in den einfachen Bildern finden. Die klug ausgearbeiteten Dialoge leben von dem was zwischen den Zeilen gelesen wird, von dem, was nicht ausgesprochen wird, sich aber in den Gesichtern, den Handlungen und den Blicken der Charaktere unweigerlich zeigt. Den Schauspielern gelingt es diese subtil gezeichneten Figuren präzise und überzeugend zu verkörpern. Dass Sandrine Kiberlain (Véronique) in Wirklichkeit Vincent Léos (Jean) Exfrau ist, mag angesichts der Zärtlichkeit und der Sehnsucht, die in jeder kleinsten Bewegung und Geste Kiberlains liegt, um so mehr erstaunen.
Im Klang der Violine – die einzige Musik in diesem Film – schwingt immer etwas Sehnsuchtsvolles mit. Man glaubt ein Lechzen zu erkennen, ein Lechzen nach dem unerfüllten Glück, nach dem was hätte sein können. Und der subtile Unterton lässt einen von Anfang an erahnen, dass diese zarte Liebe eine unerfüllte bleiben wird – wie das Leben so spielt.
Anja Schulthess