Kino immer anders


Am LUFF 2018 (Lausanne Underground Filmfestival) feierte „Relaxer“, eine „Trash-Komödie“ des Newcomer-Regisseurs Joel Potrykus aus Michigan, seine Schweizer Premiere.

Es geht um Abbie, gespielt von Joshua Burge, der die Herausforderung seines Lebens gefunden hat, nämlich das unerreichbare Level 256 von Pac-man zu knacken.

Die surrealistische Mediensatire zeigt wie ein Typ während ca. sechs Monaten auf einer versifften Couch hockt. Der Film nähert sich in einer grotesken Abwärtsspirale dem Ende des analogen Zeitalters und spielt auf das Jahr-2000-Problem, auch als Millennium-Bug  oder Y2K-Bug bekannt, an.

Der Film startet inmitten eines Streitkampfes zwischen dem arbeitslosen Versager Abbie und seinem dominanten Bruder Came. Came piesackt Abbie mit fiesen verbalen Schikanen und fordert ihn zu sadistischen Wettkämpfen heraus, wobei Abbie, um der eigenen deprimierten Situation zu entgehen, sich ein lässt und sich als Sieger mehr Respekt und Ansehen erhofft.

Die aktuelle Herausforderung lautet: Abbie muss einen grossen Kanister geronnene Milch aus einem Kinderschoppen trinken und darf dabei nicht von der Couch aufstehen. Ein Timer gibt den Rhythmus vor: alle drei Minuten muss ein Schoppen Sauermilch getrunken werden. Came überwacht penetrant das ganze Geschehen mit seiner Sony-Kamera.

Unter Blasendruck und Brechreiz findet die Challenge ein Ende und schafft Platz für einen neuen Einfall: den Highscore von Pac-Man zu brechen und damit das bei PC-World ausgeschriebene Preisgeld von 100.000 $  zu gewinnen. Abbie stellt sich der neuen ultimativen Herausforderung. Came verlässt das Appartement, Abbie bleibt sitzen und gamed. Leute kommen und gehen, doch Abbie bewegt sich nicht, den Blick auf die Spielkonsole geheftet. Draussen brechen die Windstürme aus und die Welt steht vor dem Untergang. Abbie will als Sieger dastehen und gibt nicht auf.

Die Wette wird zur Sucht, die Sucht zum Lebensinhalt; alles scheint still zu stehen wie in einer Zeitkapsel, hypnotisiert vom 8bit-Sound und dem flackern des Röhrenfernsehers. Abbies Fähigkeit mit telepathischen Kräften Objekte zu bewegen, schleust sich für den Zuschauer beinahe unscheinbar ein. Der Spannungsbogen ist getrieben den existentiellen Fragen: Schafft es Abbie sich irgendwann von der Couch zu lösen, oder ist er tatsächlich festgewachsen? Wird er irgendwann aufgeben, den Highscore zu brechen, oder schafft er es und wird dadurch reich und sorglos? Verreckt er an Hunger und Durst, am Gestank in der Wohnung, oder geht zuerst die Welt unter? 

Doch Abbie hält stand; zwischen Stapeln von Videokassetten und mit 3D-Brille auf der Nase entwickelt er sich zum Neoindianer. Das Nichtstun, das „Relaxen“, ist die Handlung – die „Nicht-Aktion“ wird zur Revolte. Die Inszenierung ist apathisch, die Kamera bewegt sich kaum, das Bild ist eintönig und platt. Jede kleine „Abweichung“ (Lichtwechsel, Kameraschwenk, Musikeinlage etc.) wird zur Attraktion.

Der Film packt, schockiert, kritisiert und ironisiert. Neben mir wurde im Saal mitgefiebert, aufgestöhnt und losgelacht. Für mich war das ein echtes Underground-Cinema-Erlebnis. Es wird mit filmischen Codes minimalistisch gearbeitet und die Filmsprache auf ihre Grenzen hin getestet. Doch ich muss zugeben, dass ich froh bin, den Film in einem Kinosaal mit Publikum gesehen zu haben und dem glubschäugigen Abbie, als Spiegelbild der Selbstironie, nicht alleine ausgesetzt war. 

Michaela Theus


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