Kino immer anders


For us Italians the word television no longer refers to the actual TV box. Televisione has become so much more, a powerful and mystified entity with scary unknown powers that have entered almost every aspect of life, dreams and of course politics. Almost like a monster“, sagt Erik Gandini der Regisseur des Dokumentarfilms Videocracy, der in seiner Machart an die populären „Moorschen“-Aufdeckungsfilme erinnert. Rein filmisch ist Videocracy kein herausragendes Werk, doch sein Thema ist brisant. Dass der Film in Italien ein Flop war, bestätigt nur das Motto des Films: Der mächtigste Mann hat die Medien unter seinen Fittichen. Das Bild Italiens, das in diesem Film „aufgedeckt“ wird, ist ein Eindrückliches, Verstörendes und Abstossendes.

Der Film beginnt mit Archivmaterial einer TV-Show aus den 80ern, in der eine halbnackte Dame unter den lüsternen Blicken gutgekleideter Herren tanzt. Darauf folgt ein Clip von nicht minder freizügigen, jungen Frauen mit Modellmassen, die um einen strahlenden Fernsehmoderator herumtänzeln. Damals wie heute: Italien applaudiert. Welchen Stellenwert und welche Popularität die fragwürdigen Fernsehshows in Italien haben, illustrieren die einzelnen Menschen, die der Film ins Zentrum rückt – Lele Mora, der mächtige Fernsehagent, Freund Berlusconis, und Bewunderer Mussolinis, ein hoffnungslos untalentierter junger Mann, der für einen Auftritt im Fernsehen alles geben würde, der berüchtigte Paparazzo Corona, der sich mit den dreckigsten Geheimnissen Italiens Prominenz eine goldene Nase verdient, und el presidente selbst: Silvio Berlusconi.

Nun ist der Präsident ja schon längst bekannt als „buon uomo“, der aus seiner Vorliebe für leicht bekleidete junge Frauen, Luxus und Parties keinen Hehl macht. Und spätestens nachdem er den Exchef von McDonalds zum neuen Kulturminister ernannt hat, wird niemand mehr daran zweifeln, dass es um die Kultur-, Film- und Medienlandschaft in Italien schlecht bestellt ist. Der Film zeigt aber noch weitere erschreckende Beispiele. So zum Beispiel einen Werbespot als Wahlpropaganda, in dem das Volk singend Silvio als Volkshelden huldigt, und so zur Wiederwahl des Präsidenten anspornen soll. Der Medienmogul Berlusconi weiss die Kraft des Fernsehens geschickt für politische Zwecke zu nutzen. Durch das Privatfernsehen, das ganz nach dem Moto „sex sells“ funktioniert, wird die ganze Bevölkerung erreicht und subtil beeinflusst. Bezeichnend sind die Tausenden von Mädchen, die bis zum Letzten gehen, um eine „Vellina“ – so nennt man die halbnackten Showtänzerinnen und Wetterfeen – zu werden. Der Traum berühmt zu werden wird durch das Fernsehen plötzlich greifbar nah und so präsentieren sich Tausende von Menschen in den peinlichsten und erniedrigendsten Posen vor der Kamera, unter den herablassenden Blicken von Castingagenten, die besagen: „leider Nein“.

Einige von ihnen schaffen es, werden berühmt, reich und mischen sich unter die VIP-Gäste Lele Moras, der in der Weissen Villa an der Costa Smeralda residiert. Und sie alle leben ihre Lebenslüge. Was hinter den geschminkten Gesichtern, durchtrainierten Körpern und aufgesetzten Gesten übrig bleibt, lässt Trauriges erahnen. Und schlussendlich werden selbst diejenigen, die einen flüchtigen Einblick in die Welt der Reichen und Schönen erhascht haben, aus dem Paradies verstossen: Die Videocracy frisst ihre eigenen Kinder.

Anja Schulthess


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